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Schaf im Wolfspelz: Die Skorpionsfliege

Text: Dr. Frank Wieland
Bild: Jürg Sommerhalder

Beim sommerlichen Spaziergang im Wald trifft man manchmal auf ein Insekt, das mit seinem skurrilen Aussehen eine Rolle in Alien-Filmen spielen könnte. Der schnabelartig verlängerte Kopf, die wespenartige, gelb-schwarze Körperfärbung und der rot leuchtende Hinterleib machen die zwei Zentimeter lange Gemeine Skorpionsfliege (Panorpa communis) zu einer seltsamen Erscheinung.

Nur die Männer sind „Skorpione“
Ihren deutschen Namen verdankt die Skorpionsfliege dem verdickten Greif- und Begattungsorgan am Hinerleibsende der Männchen. Da ihr Hinterleib nach oben gekrümmt ist ähneln sie einem Skorpion mit erhobenem Giftstachel. Obwohl die Tiere auf den ersten Blick recht gefährlich wirken, sind sie harmlos und können uns weder stechen noch beissen. Auch weibliche Skorpionsfliegen haben einen roten Hinterleib, der „Skorpionschwanz“ fehlt ihnen jedoch.

Satt durch Mundraub
Auf ihren Streifzügen durch die schattige Vegetation suchen hungrige Skorpionsfliegen nach toten oder sterbenden Insekten. Früchte, Nektar und Honigtau werten das Nahrungsspektrum auf.
Einige der rund 100 weltweit beschriebenen Skorpionsfliegen-Arten zeigen ein interessantes Verhalten des Beuteerwerbs, den Kleptoparasitismus. Dabei begibt sich die Skorpionsfliege gezielt in das Netz einer Radnetzspinne und sucht über die Spinnfäden balancierend nach eingesponnenen Beutetieren. Lokalisierte Spinnenvorräte löst sie aus dem Spinnennetz und macht sich mit dem Diebesgut davon, um es in sicherer Entfernung selbst zu fressen. Die Skorpionsfliege gerät dabei kaum in Gefahr. Sie vermag nämlich ein Sekret abzusondern, mittels dessen sie den Spinnenleim zu neutralisieren vermag, wenn sie an einem Leimtropfen hängen bleibt. Ausserdem zeigen Beobachtungen, dass die Spinne den Dieb im eigenen Netz wohl bemerkt, jedoch nicht gegen ihn vorgeht. Die Gründe für diese unerwartete Toleranz sind bisher nicht bekannt.

Willkommene Brautgeschenke
Zur Paarungszeit geben die männlichen Skorpionsfliegen einen Sexuallockstoff ab, der die Weibchen anzieht. Nicht immer sind die Damen aber sofort paarungswillig, eine unvorsichtige Annäherung könnte für die Männchen gar gefährlich werden. Strategisch geschickt servieren sie ihren attraktiven, aber heisshungrigen Angebeteten daher ein totes Insekt als Hochzeitsgeschenk. Während das Weibchen dieses frisst, können die Männchen sich an die Umsetzung ihres eigentlichen Plans machen und die etwa 20 Minuten dauernde Paarung gefahrlos vollziehen. Anschliessend fliegen die Partner wieder ihrer eigenen Wege.

Fleischfressender Nachwuchs
Skorpionsfliegenlarven ähneln Schmetterlingsraupen. Sie leben in Gängen im Erdreich und ernähren sich wie die erwachsenen Tiere bevorzugt von Aas, verschmähen aber auch pflanzliche Kost nicht. Nach einer Entwicklungsdauer von nur vier Wochen beginnen die Larven ihre Umwandlung. Schon zwei Wochen nach der Verpuppung schlüpfen die fertigen Skorpionsfliegen und beginnen ihren diebischen Lebenszyklus von Neuem.

Die letzte Larvengeneration des Jahres verharrt während des Winters im Vorpuppen-Stadium und verpuppt sich erst im Frühjahr vollständig, um zwei Wochen darauf zur ersten fliegenden Generation des neuen Jahres zu werden.

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