Die Wunderwelt der Krebse
Text & Bilder: Dr. Frank Wieland
Jeder Mensch hat eine ungefähre Ahnung davon, was ein Krebs ist. Die etwa 67’000 Arten der Krustentiere (Crustacea) umfassen aber eine riesige Bandbreite an Farben und Formen, die den wenigsten bekannt ist. Einen umfassenden Eindruck der Formenvielfalt der Krebse zu vermitteln, würde Bücher füllen.
Die kleinsten Krebse sind nur einen Zehntel Millimeter lang. Die Japanische Seespinne als grösste Art erreicht hingegen eine Beinspanne von 4 Metern. Mit einem Gewicht von 20 Kilogramm gehört sie gleichzeitig zu den schwersten Vertretern der Krustentiere.
Zu den Krebsen zählen so bekannte – weil kulinarisch geschätzte – Arten wie Hummer, Scampi, Flusskrebs, Taschenkrebs und Strandkrabbe. Die Gruppe umfasst jedoch zahlreiche weitere Formen, die spannende Verhaltensweisen und interessante Anpassungen an ihren Lebensraum zeigen.
Der Hummer ist ein Methusalem
Viele Krebse sind kurzlebig. Einige Arten sind an das Leben in schnell austrocknenden Gewässern wie Pfützen angepasst. Entsprechend muss ihr Lebenszyklus vom Schlupf bis zur Fortpflanzung innerhalb weniger Tage oder Wochen abgeschlossen sein. Arten, die dauerhafte Gewässer wie Seen oder Teiche bevölkern, werden hingegen deutlich älter. Den Methusalem unter den Krebsen findet man in ihrem ursprünglichsten Lebensraum – dem Meer. Gemäss Schätzungen der Biologen wird der Hummer bis zu 100 Jahre alt, wenn er nicht zuvor im Kochtopf landet.
Die einzigen echten Landgänger
Krebse gehören zu den erfolgreichsten Tiergruppen des Wassers. Aber wie sieht es aus mit der Eroberung des Festlands? Wie alle anderen Gliederfüsser – Spinnentiere, Tausendfüsser und Insekten – haben auch die Krebse den Weg ans Land gemeistert. Strandkrabben bereitet es keinerlei Probleme, bei Ebbe auf dem Trockenen zu sitzen. Auch Flusskrebse und Hummer können einige Zeit ohne Wasser ausharren. Andere Arten sind sogar vollständig an Land gegangen, beispielsweise die Landeinsiedlerkrebse und Landkrabben. Ein Problem hat jedoch keine dieser genannten Arten lösen können: ihre Larven vermögen sich ohne Wasser nicht zu entwickeln. Daher müssen auch die Weibchen der landbewohnenden Arten zwecks Eiablage zum Wasser zurückkehren. Unter all den vielen Krebsen haben es nur einzelne Vertreter einer einzigen Gruppe geschafft, vom Wasser vollkommen unabhängig zu werden – Asseln. Tatsächlich ist die Kellerassel an der Hausmauer ist ein echter Krebs! Sie ist zudem ein reiner Landbewohner. Dem Problem des Wasserbedarfs für den Nachwuchs haben Landasseln durch die Erschaffung eines Mini-Aquariums am Körper der Mutter gelöst. Eine Reihe von Platten umfasst die Bauchseite des Weibchens und bildet einen geschlossenen und mit Flüssigkeit gefüllten Brutraum zwischen Bauchwand und Panzer. Hier wachsen die Jungasseln so weit heran, dass sie beim Verlassen der Mutter bereits selbständige Landgänger sind. Landasseln haben ihre Anpassungen an das Leben auf dem Trockenen so prfektioniert, dass sie sogar die Wüste als Lebensraum erobert haben.
Während die Landasseln mit wenigen Zentimetern Länge recht klein bleiben, haben sich im Meer Riesen von bis zu einem halben Meter Länge entwickelt.
Mobile Immobilie
Während viele Krebse sich in Höhlen, Ritzen und Spalten vor ihren Feinden verstecken, führen die Einsiedlerkrebse ihren Unterschlupf in Form eines Schneckengehäuses mit sich herum. Wächst ein Einsiedlerkrebs heran, wird ihm sein Haus irgendwann zu eng und er muss umziehen. Dazu sucht sich der Krebs zunächst ein etwas grösseres Schneckengehäuse aus. Er zieht seinen Hinterleib aus dem alten heraus und wechselt in das neue. Jeder Einsiedlerkrebs macht so im Laufe seines Lebens etliche Umzüge in immer grössere Behausungen durch.
Der Palmendieb ist mit bis zu einem Meter Spannweite und 3-4 Kilogramm Gewicht nicht nur der grösste landlebende Krebs, sondern zugleich der grösste landlebende Gliederfüsser. Sein Körperbau macht deutlich, dass er zu den Einsiedlerkrebsen zählt, doch Schneckenhäuser benötigt er zu seinem Schutz nicht mehr. Zum einen ist er massiv gepanzert, zum anderen gibt es kein Schneckenhaus auf der Welt, das als Behausung gross genug für ihn ist. Seinen Namen trägt der Palmendieb, weil er mit seinen gewaltigen Scheren zu Boden gefallene Kokosnüsse zu öffnen vermag, um sich am nahrhaften Kokosfleisch zu laben.
Das Ei als Zeitmaschine
Viele sehr kleine Krebse haben aufgrund ihres oft schnell austrocknenden Lebensraumes Strategien entwickelt, um schlechte Zeiten zu überdauern. Trocknet ihr Gewässer aus, bilden sie Dauereier, denen nahezu alle Feuchtigkeit entzogen wird. Der Embryo geht in einen Zustand über, in dem kein Stoffwechsel mehr stattfindet. So vermögen die Eier im Boden lange Trockenzeiten zu überdauern, um beim nächsten Regenfall Feuchtigkeit aufnehmen und innerhalb weniger Stunden fertig entwickelte Larven zu entlassen. Solche Eier sind sozusagen kleine Zeitmaschinen: Wissenschaftler untersuchten Mitte der 1990er Jahre Sedimente früherer Seen, deren Alter sie genau bestimmen konnten. In den Proben entdeckten sie Dauereier von Ruderfusskrebsen. Ins Wasser gebracht, schlüpften aus ihnen putzmuntere Krebslarven. Die ältesten so ins Leben zurückgeholten Eier waren 332 Jahre alt!
Allein in der tödlichen Salzlake
Salinenkrebse der Gattung Artemia leben in salzigen Gewässern, die durch langsame Verdunstung zu hochkonzentrierten Salzlaken werden. In diesen Extremlebensräumen gibt es nicht viel anderes Leben. Salinenkrebse sind weithin bekannt, da sie regelmässig als „Urzeitkrebse“ in Kinderzeitschriften angeboten werden. Unter Aquarianern werden ihre Eier als Fischfutter gehandelt, denn die frisch geschlüpften Krebs-Larven sind ein geschätztes Aufzuchtfutter für Jungfische.
Manchmal kaum noch erkennbar
Manchen Krebsen sieht man ihre Zugehörigkeit nicht an. Kaum jemand würde vermuten, dass es sich bei der Seepocke um einen Krebs handelt. Diese kegelförmigen Tiere nutzen Holz, Steine, Muschelpanzer oder auch Walhaut als Untergrund, an den sie sich mittels eines starken Leims anheften. Als erwachsene Tiere werden sie komplett sesshaft und können ihren Standort nicht mehr verlassen. Seepocken haben keine Scheren, sie filtern mittels ihrer zu Rankenfüssen umgebauten Extremitäten kleinste Nahrungspartikel aus dem Wasser.
Einige parasitische Krebse sind gar nicht mehr als Tiere erkennbar. Dass eine Strandkrabbe von einem solchen Parasiten befallen ist, kann äusserlich nur an einem Gewebesack erkannt werden, der hinten aus der Krabbe austritt. Der Rest des Parasiten ist im Gewebe des Wirts verteilt. Die Zugehörigkeit des Parasiten zu den Krebsen wird erst durch seine krebstypische Larvenform offensichtlich.
Angesichts ihrer unglaublichen Vielfalt sind die Krebse eine spannende Tiergruppe, die in Zukunft sicher noch viele Geheimnisse preiszugeben hat.