Bienen sterben…

Titelbild: Die Platterbsen-Mörtelbiene (auch: Heide-Blattschneiderbiene) hört auf den wissenschaftlichen Namen Megachile ericetorum und gehört zur Familie der solitär lebenden Mörtel-und-Blattschneiderbienen (Megachilidae). Das Foto zeigt ein Exemplar, das an einer nicht-invasiven, aber neophytischen Platterbse (Breitblättrige Platterbse, Lathyrus latifolius) sammelt, die in unseren Gärten weit verbreitet ist.

Text & Fotos: Jürg Sommerhalder


Wer „Bienen“ hört denkt an Honig. Und wer „Bienensterben“ hört, glaubt, die Tage des süssen Sonntagsfrühstücks seien gezählt. „Alles ganz falsch!“, sagt Tierökologe und Wildbienenspezialist André Rey aus Zürich.

Die Ko-Evolution der Blumen und Bienen
Die Evolution der rezenten Bienen dauert seit der Kreidezeit an. Dem ältesten bekannten Bienen-Fossil wird ein Alter von 70-90 Millionen Jahre zugeschrieben. Allerdings existieren bedeutend ältere Blütenfunde, deren Bauweise Anpassungen an Bienen nahe legen. Die Wissenschaft vermutet daher, dass Bienen schon vor 120 Millionen Jahren Blüten bestäubten.

Seither entwickeln sich Bienen und Blütenpflanzen (Magnoliopsida: Bedecktsamer) gemeinschaftlich, passen sich immer weiter aneinander an. Diese Ko-Evolution führte dazu, dass die Blütenpflanzen heute die grösste aller Pflanzengruppen der Erde bilden, und die Bienen weltweit über 22‘000 verschiedenen Arten ausgebildet haben.

Der Bienen-ist-gleich-Honig-Reflex
Alleine für die Schweiz wurden bislang  613 verschiedene Wildbienen-Arten beschrieben (Stand am 31.12.2019). Und nur eine einzige davon, die Westliche Honigbiene (Apis mellifera), produziert Honig in für den Menschen interessanter Menge. Trotzdem ist die Assoziationskette Biene = Honig (und in neuerer Zeit Bienensterben = Biene = Honig) in den Köpfen der Menschen sowie in jenen behördlicher ExponentInnen und in der Medienlandschaft tief verankert.
Diese hartnäckige Gleichsetzung von Honig- und Wildbienen ist sachlich falsch und zudem fatal: Einerseits verhindert sie die notwendigen Massnahmen zum Schutze der Wildbienen. Andererseits fördert sie die Honigbienen-Haltung und führt zu einer unkontrolliert wachsende Individuenzahl an domestitierten Honigbienen in freier Wildbahn, was die Wildbienen zusätzlich unter Druck setzt.

Diese Wollbiene gehört zur Gattung Rhodantidium und ist somit ein Mitglied der Blattschneiderbienen-Familie Megachilidae (Foto: Jürg Sommerhalder)

Honigbienen sind nicht gefährdet
Die einzige nördlich der Alpen natürlicherweise beheimatete Honigbiene, die Westliche Honigbiene (Apis mellifera ), kommt als Wildtier bei uns nurmehr vereinzelt vor. Ihre überwiegende Anzahl (derzeit rund 200‘000 Völker in der Schweiz) befindet sich in der Obhut des Menschen.
Als Nutztiere mit Massenhaltungsstatus sind Honigbienen in keiner Art und Weise bedroht. Genauso wenig wie Schweine, Kühe und Geflügel. Der Mensch wird zweifelsohne immer neue Züchtungen und Techniken innovieren, die immer neue (meist selbstgemachte) Probleme lösen und immer höhere Erträge abwerfen.
Aber auch unter den Imkern selbst gibt es immer mehr und immer lauter werdende Stimmen, die ein  Überdenken der traditionellen Imkerei fordern. Der Verein FREETHEBEES (Link siehe unten) zeigt intelligente, neue Wege zu einer nachhaltigeren, artgerechten und ökologischen Imkerei auf – gar solche, die ohne Ertragsverluste auskommen.

Bienen sterben
Tatsächlich gefährdet ist ein Grossteil jener rund 600 Bienenarten der Schweiz, die uns keinen Honig spenden. Es gibt sie in allen Grössen, Farben und Formen, und sie pflegen unterschiedlichste Lebensweisen. Einige Arten messen kaum drei Millimeter, während etwa die blauschillernden Holzbienen oder die grossen, pelzigen Hummel-Königinnen zehn Mal so gross werden. Die überwiegende Mehrzahl der Wildbienen bildet keine Grossstaaten. Vielmehr ziehen solitär lebende Weibchen als alleinerziehende Mütter nur einige wenige Nachkommen auf. Sie bauen ihre Nester in Höhlen im Boden und in Abbruchkanten, unter Steinen, in Mauerritzen und Felsspalten, in Totholz oder in hohlen Pflanzenstängeln. Andere haben sich auf eine parasitische Lebensweise verlegt. Kuckucks-Bienen deponieren ihre Eier in Art-fremden Nestern, wo ihre Nachkommen den fremden Pollen (und manchmal auch den fremden Nachwuchs) verzehren. Und Kuckucks-Hummeln übernehmen gleich ganze Staaten, indem sie die Stelle der zuvor verjagten oder getöteten Königin einnehmen.

Die Bedeutung der Wildbienen
Honigbienen wird ein sehr hoher Stellenwert in Bezug auf die landwirtschaftlich relevante Bestäuber-Aufgabe nachgesagt. Dies mag für ökologisch verarmte Landwirtschafts-Zonen sogar stimmen, allerdings nur, weil dort kaum mehr Wildbienen und andere Wildbestäuber vorkommen. Für ökologich halbwegs intakte Agrargebiete hingegen (und erstrecht für Naturschutzgebiete) gilt, dass dieser Quotient ins Gegenteil kippen kann. Tatsächlich sind Wildbienen bedeutend effizientere Bestäuber. Der spanische Biologe Narcís Vicens beispielsweise wies vor einigen Jahren nach, dass für die Bestäubung eine Hektars Apfelbäume einige Hundert Weibchen der Gehörnten Mauerbiene nötig sind – oder aber einige Zehntausend Honigbienen.

Und die Hummeln – auch sie gehören zu den Echten Bienen – können in einem verregneten Sommer sogar die Obst-Ernte retten: Im Gegensatz zum reinen Schönwetter-Flieger Honigbiene bestäuben sie auch, wenn es kalt und regnerisch ist.

Bombus terrestris, Erdhummel
Die Erdhummel (Bombus terrestris) gehört zu den Echten Bienen und ist eine Hochleistung-Bestäuberin (Foto: Jürg Sommerhalder)

Aber auch die Natur braucht Wildbienen unbedingt: Die Verarmung der Pflanzen-Biodiversität führt automatisch zur Bedrohung aller Insektenarten, die von ihr abhängig sind – also den meisten. Und die Eingangs erwähnte Ko-Evolution von Bienen und Blütenpflanzen hat zu Abhängigkeiten geführt.

Viele Wildbienen-Arten haben sich hoch spezialisiert.“ sagt der Wildbienenspezialist André Rey. „Rund 150 einheimischen Arten sind ohne  Pollen und Nektar bestimmter Pflanzengruppen oder sogar spezifischer Pflanzen-Arten nicht überlebensfähig. Umgekehrt können zahlreiche Wildblüten von Honigbienen nicht bestäubt werden, sie brauchen dazu unbedingt ‚ihre‘ spezialisierten Wildbienen.

Wildbienen werden ausserhalb ökologisch stark verarmter Agrarräume für 75% bis 80% der gesamten Bestäubungsleistung der Schweiz verantwortlich gemacht – einschliesslich der Landwirtschaft. Und einige Studien zeigen auf, dass die Vielfalt der Bestäuber für maximale Ernteerträge eine wichtigere Rolle spielt, als möglichst viele Honigbienen. Wir haben also auch ohne Aussicht auf Honigernte ausreichend gute Gründe, uns um die Wildbestäuber-Diversität im Allgemeinen und jene der Wildbienen im Besonderen zu sorgen.

Das grosse Sterben hat viele Ursachen
Fachleute sprechen von verschiedenen Einflüssen, die kumuliert zur Katastrophe führen. Der Verlust natürlicher Lebensräume durch die Zersiedlung der Landschaften, die Versiegelung der Böden, die allgemeine Umweltverschmutzung sowie der Klimawandel bilden zusammen mit der industrielle Landwirtschafft einen immensen Bedrohungs-Kluster. Letztere tötet Insekten ganz direkt durch den Einsatz von Pestiziden. Indirekt reduziert sie die Biodiversität durch ihre Monokulturen und den Einsatz von Herbiziden.

Ihr Beitrag
Die Schaffung okologischer Ausgleichsflächen mittels spezifischer Bepflanzung von Siedlungs-Rabatten und Privat-Gärten, ja sogar von Balkonen, kann helfen. Die Schweizer Stiftung GREEN ADVANCE hat mit der Entwicklung der kostenlos abrufbaren Web-App FuturePlanter.ch ein Werkzeug geschaffen, das nach Eingabe einer Wohnadresse die Pflanzen benennt, mit den sich an der eingegebenen Adresse vorkommende Arten gezielt fördern lassen. Das Hauptziel von FuturePlanter ist die Förderung der Wildbienen-Diversität durch die Schaffung fein verästelter Netzwerke an Wildblumen-Blüten in urbanen Räumen wie etwa der Stadt Zürich.

Links:
www.andre-rey.ch
www.freethebees.ch
www.futureplanter.ch
www.insekten-egz.ch

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