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Extreme Closeups: Die hohe Kunst der Schärfentiefe

Text & Bilder: Jürg Sommerhalder

Jeder Makro-Fotograf, auch wenn er das Metier nur hobby-mässig betreibt, kann zum Thema Schärfentiefe Lieder singen. Sie erklingen meist in Moll-Tönen. Dabei liegt die Ursache nur bedingt am Können des Fotografen, vielmehr sind es die Gesetze der Physik, die ihm Grenzen setzen.
Wir zeigen, wie es trotzdem geht.

Unschärfe als Gestaltungselement
Die Bildschärfe ist ein wichtiges Gestaltungselement beim Fotografieren. So etwa setzt man die Schärfe in bestimmten Situationen bewusst so, dass auf dem Bild nur das fotografierte Objekt scharf abgebildet wird, der Hintergrund aber möglichst verschwommen bleibt. Auf diese Weise wird das Auge des Betrachters nicht vom eigentlichen Objekt abgelenkt Je näher man aber an das Objekt heranrückt, umso mehr verliert die Hintergrundgestaltung an Gewicht, während die auf dem Objekt selber liegende Schärfe in den Vordergrund rückt.

Je näher das Objekt, umso flacher Schärfe
Wir wollen Sie nicht mit komplizierten mathematischen Berechnungsformeln behelligen, die brauchen wir gar nicht. Wir müssen bloss verstehen, was die optischen Gesetze grundsätzlich besagen: Nämlich dass mit zunehmender Brennweite und steigendem Abbildungs-Masstab das theoretisch mögliche Potenzial an Schärfentiefe naturgemäss abnimmt. Und zwar so massiv, dass bei einem Abbildungsmasstab von 1:1 (also Originalgrösse des Objekts auf der Film- oder Chip-Ebene) die maximal mögliche Schärfentiefe nicht einmal mehr 2mm beträgt. Möchten Sie also etwa von einem Frosch eine Portraitaufnahme von vorne schiessen, dann müssen Sie sich für eine scharfe Nase oder ein scharfes Auge entscheiden. Beides ist physikalisch unmöglich, wenn der Abstand zwischen Nase und Auge mehr als 2 mm beträgt. Wollen wir mit noch stärkeren Vergrösserungen arbeiten, dann verschlimmert sich das Problem zunehmend. Bei Massstäben von 2:1, 3:1 oder gar 5:1 liegt die Schärfentiefe nurmehr im Bereich von Millimeter-Bruchteilen, so dass aufgrund seiner Wölbung nicht einmal mehr das Froschauge selbst scharf zu bekommen ist.

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Standard-Makro-Aufnahme eines Prachtkäfers (Buprestidae) der Gattung Chrysochroa aus Thailand. Die Schärfe liegt auf dem Auge des Käfers, weder der Fühler im Vordrgrund noch die Behaarung der Mandibeln und weite Teile des Brustpanzers sind scharf abgebildet. (Foto: Jürg Sommerhalder)

Schicht-Fotografie
Die technische Lösung für dieses Problem heisst focus stacking, oder Schicht-Fotografie. Kurz gesagt funktioniert dieses Technik auf dem Prinzip, mehrere Fotos mit unterschiedlichen Schärfe-Ebenen übereinander zu legen. Das können abhängig vom Motiv nur drei oder vier Aufnahmen sein, aber auch 30 oder mehr. Keine Angst, dieses Ziel ist mit viel weniger Aufwand zu erreichen, als es auf Anhieb erscheinen mag. Im Grunde benötigen wir dazu nur drei Dinge: ein Stativ, einen Makro-Schlitten sowie eine Stacking-Software. Ach ja: und ein wenig Geduld.

Die Hardware
Da wir beim „Schichten“ darauf angewiesen sind, dass die später übereinander zu legenden Fotos vom Bildausschnitt und vom Blickwinkel her absolut identisch sind, kommen wir nicht um ein Stativ herum. Wir müssen sozusagen dieselben Aufnahme mehrmals schiessen, verschieben zwischen den Aufnahmen einzig die Kamera, und damit den Schärfepunkt auf dem Objekt. Dies erreichen wir am einfachsten über einen Makro-Schlitten, den wir für wenig Geld beim Fachhändler oder im Internet kaufen können.

Die Technik
Wenn der Motiv-Setup gemacht ist, die Beleuchtung stimmt und wir durch den Sucher der Kamera genau das Bild sehen, das wir am Ende haben möchten, schiessen wir das erste Bild. Es muss denjenigen Punkt scharf abbilden, der dem Objektiv am nächsten ist. Der Makroschlitten erlaubt uns im Anschluss – ohne an Objektiv- oder Kamera-Einstellungen irgendetwas zu verändern! – die Kamera über eine Stellschraube am Schlitten in sehr feinen Stufen näher ans Motiv heran zu bewegen. Dabei bewegt sich automatisch auch der Schärfepunkt auf dem Objekt nach hinten. Wir bewegen die Kamera über den Markoschlitten millimeterweise auf das Objekt zu, schiessen immer wieder ein Bild, bis wir den gewünschten hintersten Schärfepunkt erreicht haben.

Die Software
Für das Übereinanderlegen der Bilder verwenden wir ein Stacking-Programm. Es rechnet die scharfen Passagen aller geladenen Bilder zu einem einzigen, von vorne bis hinten scharfen Einzelbild zusammen. Als hervorragend fürs Makro-Stacking geeignet, super-einfach in der Handhabung und erschwinglich im Preis empfiehlt unsere Redaktion Helicon Focus des Herstellers Helicon Soft Ltd.

Das Resultat
Gelungene Extrem-Closeups sind herausstechende Fotos. Weil sie ansonsten Unsichtbares deutlich sichtbar machen und dem Betrachter Einblicke ins phantastische Universum des Kleinen ermöglichen: Und dieses hat keinesfalls weniger zu bieten, als der Blick durchs Teleskop in ferne Galaxien.

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Gestackte Makro-Aufnahme desselben Kàfers. Das Photo besteht aus 13 Einzel-Aufnahmen, deren scharfe Bereiche zusammengerechnet wurden: Vergleichen Sie mit dem obenstehenden Bild: Alle Teile des Käfers sind jetzt scharf abgebildet. (Foto: Jürg Sommerhalder)

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